Temperaturanstieg: Eine Lose-Lose-Situation

Sobald etwas wächst, stößt es auch irgendwann an Grenzen. Das kann der Zeh im Schuh sein, die Pflanze im Topf oder die Menschheit auf dem Planeten Erde. Das Klima und der Zustand unseres Planeten zeigen uns auf, dass wir diese Grenze schon bald erreichen. Der einzige Weg, darauf zu reagieren, ist offensichtlich. Entweder man erweitert die Grenzen oder man hört auf zu wachsen. Wenn unserem weltweiten Konsum, Wirtschaftswachstum und CO2-Verbrauch bald kein neuer Schuh mehr passt, müssen wir vielleicht einen alten wieder anziehen, auch wenn wir den vielleicht erst noch reparieren, anpassen und verbessern müssen.

Aber was steigt denn überhaupt so rasant? Anstieg bedeutet doch eigentlich auch Verbesserung und Wohlstand, was wiederum für psychische Zufriedenheit und eine höhere Lebensqualität sorgt. Wir können wirklich nicht mehr vom Menschen erwarten, als nach letzterem zu streben, denn das ist rein natürlich. Aber schafft man das durch eine wöchentlich wechselnde H&M Kollektion, durch einen SUV, mit dem wir theoretisch eine Forschungsexpedition in der Wüste antreten könnten oder vielleicht mit einem Meeresspiegelanstieg, durch den wir endlich mit dem SUP durch Hamburg paddeln könnten?

Unsere Wirtschaft ist nicht das Problem, sie hat das Problem.

Dass wir die Grenzen unseres Wirtschaftswachstums scheinbar unendlich oft brechen können, haben wir häufig genug gezeigt. Der Erfolg einer Regierung bzw. eines ganzen Landes scheint sich sogar daran zu messen, wie hoch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Gegensatz zum Vorjahr ist. Oder sollte ich sagen: „Hat sich daran gemessen“? Denn nicht nur Prognosen, sondern auch die aktuelle Lage sehen deutlich anders aus.

In den Vereinigten Staaten zum Beispiel wuchs das BIP je Einwohner zwischen 1870 und 1929 um 1,76 Prozent. Das ist über den gesamten Zeitverlauf betrachtet ein 2,8-facher Anstieg. Eine einzelne Person sorgte also im Jahr 1929 im Durchschnitt für eine fast dreifache wirtschaftliche Leistung. Ab 1950 stieg sie 23 Jahre lang sogar um 2,5 Prozent und löste damit die eher unrühmlichen Jahre zwischendurch ab. Hier in Europa hat man es sogar noch rasanter geschafft, die Grenzen der Produktion vom Vorjahr zu brechen. Mit einem 3,8-prozentigen Anstieg zwischen 1950 und 1973 war Europa noch schneller im Rennen um das höchste Wirtschaftswachstum. Keine Frage, dass uns dieser Anstieg weltweit enorm geholfen hat, Technologien, Forschung, ein verbessertes Gesundheitssystem und vieles mehr auf die Beine zu stellen. Man kann sagen, dass die durchschnittliche Lebensqualität der Menschen so hoch ist wie noch nie.

Wirtschaftswachstum in der Digitalisierung

Man hat erwartet, dass das auch so weitergeht und was die Innovationen des 21. Jahrhundert angeht, ist das auch der Fall: In kürzester Zeit entwickeln wir Smartphones und vernetzen uns weltweit über das Internet. Wir entwickeln künstliche Intelligenzen, 3D-Druck, Robotik und digitalisieren so gut wie alles um uns herum. Eigentlich erleichtern wir uns die Arbeit also noch viel mehr, als es zum Beispiel Dampfmaschinen oder Fließbänder getan haben, dennoch lässt sich die Steigerung des BIP durch die aktuelle Industrie 4.0 (Vernetzung und Digitalisierung) nicht mitreißen. Zur Veranschaulichung: In den USA stieg das BIP im Jahr 2018 um nur 0,94 Prozent und auch in Europa beträgt das Wachstum in den 10 Jahren nach 2010 durchschnittlich nur 0,8%. Man kann vermuten, dass sich das in den nächsten Jahren auch so weiterentwickeln wird. Scheinbar bewegt diese unglaubliche Digitalisierung doch nicht so viel wie die Dampfmaschine oder die Entdeckung der fossilen Brennstoffe. Ob es durch Innovationen der Neuzeit nochmal zu einem Boom kommen wird, ist nicht abzusehen.Experten sind da sehr unterschiedlicher Meinung.

Steigende Lebensqualität

Es geht ums Geld.

Trotzdem ist stetig ein Wachstum zu verzeichnen und nichts anderes scheint uns im Sinn zu stehen, denn sicherlich lässt sich die Lebensqualität noch weiter steigern. Medizinische Entwicklungen gegen Krebs oder Demenz wären enorme Verbesserungen. Nicht zu vergessen sind jedoch auch autonom fahrende Autos, Drohnentaxis und noch „smartere Homes“, auf die wir nur sehnlichst warten können. Während in südlichen Staaten Afrikas die Lebenserwartung endlich auf 60 Jahre gestiegen ist, können wir dann schon zum Arzt fahren, ohne das Lenkrad im SUV halten zu müssen. Die Entwicklung wirtschaftlich schwächerer Länder folgt unserer. Durchschnittlich ist der Anstieg des BIP der Entwicklungsländer in den letzten Jahren immer höher als der von wirtschaftlich starken Ländern.

Zur Zeit haben wir jedoch alle erstmal mit dem selben Problem zu kämpfen. Auch wenn der Coronavirus Länder unterschiedlich stark trifft, so sind mit ihm auf jeden Fall enorme Ausgaben verbunden, die sich wirtschaftlich abzeichnen. Weltweit hat die Pandemie für einen Rückgang des BIP um 4,3% gesorgt. Wenn wir die Corona-Krise, welche die weltweite Wirtschaft (und natürlich Gesundheit!) stark belastet hat, hinter uns haben, kann die Welt wieder Stück für Stück weiter auf der kapitalistischen Leiter hinaufklettern. Schätzungen für die nächsten zwei Jahre sind positiv.

Jedoch könnten wir auch ganz schnell ganz schön tief fallen, denn ein Faktor ist hier nicht mit einbezogen: Das Klima.

Denn dank der Erderwärmung können wir uns das Warten auf den nächsten Wirtschaftsboom, die Hoffnung, dass sich Entwicklungsländer endlich aus der Armut erheben oder den nächsten Skiurlaub wohl gewaltig abschminken, denn gegen Zahlen wie 1,5° oder 2° Celsius kommen auch noch so große Wirtschaftsanstiege nicht an. Ganz im Gegenteil: Diese kleinen Zahlen könnten die Menschheit in ein wirtschaftliches Tief bringen, das wir so noch nicht erlebt haben.

Wirtschaftabsturz trifft es besser…

Dem Wirtschaftsanstieg der nächsten Jahre steht vermutlich noch nicht so viel im Weg, aber in den Jahren 2030 und 2050, in denen sich zeigt, ob wir unsere Klimaziele einhalten, könnte das schon anders aussehen.

Wirtschaftsexperten rechnen zu 50% damit, dass bis Ende des 21. Jahrhunderts die weltweite Wirtschaftsleistung durch den Klimawandel um 20% sinkt. Jetzige Krisen und Hoch-Zeiten waren geschichtlich gesehen kleine Ausrutscher, der Einsturz durch den Klimawandel wäre jedoch fortwährend und von unvorstellbarer Wirkung. Laut einer Studie der Union of Concerned Science könnten bis 2100 alleine in den USA Immobilien im Wert von über einer Billiarde Dollar durch den Meeresspiegelanstieg chronisch gefährdet sein. Schon jetzt kommt es in Deutschland zu wirtschaftlichen Einbußen, weil Flüsse einen zu niedrigen Wasserstand haben. Es gibt noch weitaus mehr Phänomene, an denen man erkennt, wie verheerend sich die Klimaerwärmung auf unser aktuelles Wirtschaftssystem auswirken kann. Zusammengefasst schätzen Experten, dass eine Erwärmung von 3,7 Grad die damit verbundenen weltweiten Kosten auf eine Höhe von 551 Billionen Dollar treiben könnte, was knapp dem doppelten des aktuellen Weltvermögens entspricht. Einen kritische Erderwärmung kann sich unsere Wirtschaft also definitiv nicht leisten.

Climate Tipping Points

Unsere vermutlich folgenschwerste Entdeckung waren die fossilen Brennstoffe, das flüssige Gold der Erde. Dass wir technologisch da stehen, wo wir jetzt stehen, haben wir diesen vor Millionen von Jahren angelegten Energiespeichern zu verdanken. Stromerzeugung, Verkehr, Landwirtschaft, Luft- und Raumfahrt und viele andere Entwicklungen der letzten Jahrhunderte sind die glänzende Seite der Medaille. Die Rückseite kann mit einem einzigen Aspekt betitelt werden:Treibhausgase. Seit dem 19. Jahrhundert steigt der CO2-Anteil unserer Luft in Höhen, die nicht mehr zu den bisher rekonstruierbaren natürlichen Schwankungen passen. Hier→ sieht man sehr anschaulich, was damit gemeint ist.

Und das wird schwerwiegende Folgen haben… An dem Wachstum bestimmter Pflanzen kann man sehen, dass sich die Jahreszeiten schon jetzt nicht mehr so abspielen, wie wir sie eigentlich kennen. Manche Pflanzen wachsen schon früher als üblich und andere bleiben länger grün, als sie eigentlich sollten. Gravierende Veränderungen können wir überall in der Natur erkennen. Wir erleben unüblich viele Waldbrände, zu starke Regenfälle, zu lange Trockenperioden und viel zu warme Temperaturen im Winter. Die wirklichen Extreme kommen jedoch erst noch.

Die englische Beschreibung „Climate tipping points“ bedeutet so viel wie: „klimatische Kippmomente„. Hier ist die Rede von irreversiblen Grenzen, die, wenn wir sie überschreiten, Veränderungen enormer Ausmaße zur Folge haben können. Das 1,5°-Ziel ist genau deswegen ein Orientierungswert, den wir unbedingt einhalten sollten, denn bis zu diesem Punkt könnten wir vermutlich noch die Kurve schaffen. Darüber hinaus setzen wir eine Kettenreaktion in Gang, welche die Erde drastisch verändern kann.

Wenn das Eis schmilzt.

Einer dieser Dominosteine ist das Eismassiv auf Grönland. Natürlich taut es schon jetzt bedrohlich und sorgte zusammen mit den anderen Eismassen unseres Planten für einen geschätzten Meeresspiegelanstieg von 17 Zentimetern im letzten Jahrhundert (5). Der besagte Kipppunkt hat sich jedoch zum Glück noch nicht ereignet, denn das Grönlandeis besitzt einen gewissen Selbstschutz. Dieses, in der letzten Eiszeit entstandene Eismassiv, ist ein kompakter Klotz mit einer weißen, isolierenden Schneeschicht auf der Oberseite, der bis zu 3000 Meter in die Luft ragt. In so großen Höhen ist bekanntlich auch die Temperatur niedriger als über der Erdoberfläche. Durch die Kompaktheit, den Druck und die Isolation durch den Schnee von oben schmilzt das Grönlandeis also bisher noch relativ langsam. Auch wenn die Umgebungstemperatur schon merklich gestiegen ist, so schützt die Kälte auf der Oberfläche des Massivs die ganzen Eismassen bisher noch vor einer verheerenden Eisschmelze.

Der „Tipping Point“ liegt jedoch auch irgendwo dort oben und wenn er erreicht ist, schmilzt unweigerlich das gesamte Eisschild ab. Wenn wir eine gewisse Höhe des Eismassivs unterschreiten, befindet sich die schützende Oberfläche in einem Temperaturbereich, der das Eis zwangsläufig zum rückstandslosen Abschmelzen bringt. Selbst wenn wir danach, wie durch ein Wunder, den Klimawandel stoppen, ist das Eis nicht mehr in der Höhe, in der es auf Dauer kalt genug ist und es wird schmelzen. Dass ein Eismassiv von 3 Kilometern Dicke nicht mal eben in ein paar kalten Wintern wieder friert, ist den meisten gar nicht so bewusst, denn, wie oben schon erwähnt, ist das Grönlandeis, genau wie die Eismassen unserer Pole und die Gletscher in unseren Bergen ein Überbleibsel aus der letzten Eiszeit und kann sich deswegen so nicht wieder reproduzieren.

7 Meter Meeresspiegelanstieg hätte allein das Eis auf Grönland zur Folge, dass die Eismassen der Antarktis die Grönlands noch weitaus übertreffen, macht klar, wie verheerend dieser Punkt wäre. Ironischer Weise sorgt jedoch dieser Kipppunkt in einer Kettenreaktion für einen weiteren, der wiederum Kälte bringt.

Die Eismassen schwinden.

Es könnte auch kälter werden.

Der Golfstrom ist nur einer von mehreren Meeresströmungen, aber schon er alleine hat eine sehr große Bedeutung für das Klima. Die gemäßigten Temperaturen hier in Europa haben wir zum einen diesem Wärmetransporteur zu verdanken. Eine riesige Wasserwalze bringt an der Oberfläche des Atlantiks warme Wassermassen zu uns. Diese kühlen sich in der Polarregion ab, sinken nach unten und fließen durch einen Sogeffekt wieder zurück dahin, wo sich das Wasser aufgewärmt hat und nach oben steigt, nämlich im Gebiet um die Karibik und den Golf von Mexico. In diesen warmen Gebieten verdunstet Wasser an der Oberfläche und der Salzgehalt steigt während sich der Strom langsam Richtung Norden bewegt. Hier kommt es nun zu einer Abkühlung und zusammen mit dem hohen Salzgehalt erreicht das Wasser eine hohe Dichte und sinkt ab.

Wenn wir durch das Schmelzen der polaren Eiskappen und vor allem derer im Norden, den Salzgehalt dieser Wassermassen mit Süßwasser verdünnen und es dadurch leichter wird, kommt die Umwälzung des Golfstroms ins Stocken. Schon jetzt ist ein deutlicher Rückgang der Intensität des Golfstroms messbar, jedoch haben wir den Tipping Point auch hier zum Glück noch nicht erreicht. Der entscheidende Punkt liegt zwischen 1° C und 3° C globaler Erderwärmung und bei einem Stillstand dieser Wasser- und Wärmewalze ist ein „Wiederanschieben“ genauso unmöglich wie ein „Wiederzufrieren“ von prähistorischen Eismassen.

Die Folgen sind kaum abschätzbar, denn Messungen zur früheren Funktion und Wirkung des Golfstromes liegen noch nicht weit genug zurück. Dass ein Stillstand jedoch zu drastischen klimatischen Veränderungen führt und vielleicht weitere Steine ins Rollen bringt, ist sehr wahrscheinlich.

Gruselig ist, dass wir keinen dieser Kipppunkte genau voraussagen können und deswegen die unmittelbare Bedrohung für viele nicht deutlich wird. Wenn jedoch einer kippt, entsteht eine Kettenreaktion von Ereignissen, die erstens nicht aufhaltbar ist, und zweitens Veränderungen in einem Ausmaß herbeiführt, die wir ebenfalls in ihrer Dramatik nicht abschätzen können. Allein durch den Meeresspiegelanstieg könnte es zu Flüchtlingsströmen aus Küsten und Inselregionen kommen, die wir so noch nicht erlebt haben.

Es wird heiß hergehen.

Als wäre es noch nicht genug, dass uns der Lebensraum vom Ufer her knapper wird, so wird es auch im Landesinneren ungemütlich oder anders gesagt: „Es wird heiß hergehen um die bewohnbaren Flächen der Erde“.

Dürren und Wasserknappheit werden gerade in Gebieten um den Äquator weiter zunehmen und die Menschen dort in eine noch dramatischere Lage bringen, als sie jetzt schon vorherrscht. Der Zugang zu Trinkwasser wird noch schwerer und zusammen mit Hungersnöten viele Menschen dazu veranlassen, die besser bewohnbaren Gebiete der Erde aufzusuchen. Noch viel extremer sind sogenannte Tödliche Hitzetage, die sich bei einer Erderwärmung von 4° C in großen Gebieten um den Äquator ereignen könnten. In diesen Bereichen ist es im Freien für den menschlichen Kreislauf nicht mehr auszuhalten. Was für ein Ausmaß der darauf folgende Flüchtlingsstrom haben könnte, malen wir uns besser nicht aus, denn bei unseren aktuellen Erfahrungen mit diesem Problem könnten wir dann ja tatsächlich überfordert sein… Schon jetzt sorgen warme Sommer in Europa für einen Anstieg der hitzebedingten Notrufe. Gerade ältere Menschen haben bei überdurchschnittlich langen Hitzeperioden mit Kreislaufproblemen zu kämpfen und das schon bei einer Erwärmung von 1,2°C.

Ein Dominoeffekt der Katastrophen

Um den Rahmen dieses Artikels nicht zu sprengen, möchte ich die weiteren Globalen Tipping Points nur kurz erwähnen. Der sibirische Permafrostboden zum Beispiel könnte endgültig auftauen und damit den gesamten Klimawandel stark beschleunigen. Die im Boden gespeicherten Mengen an CO2und Methan werden dann zusätzlich zu unseren Emissionen einen gewaltigen Anstieg der Treibhausgase verursachen. Gerade das Methan, welches 21-Mal gefährlicher für das Klima als CO2 ist, wäre eine Katastrophe. Von Erdrutschen, Verschlammung und Waldsterben ganz zu schweigen…

Dann wären da noch die bereits genannten polaren Eiskappen und unsere Gletscher, die Borealen Nadelwälder, Korallenriffe, der Amazonas und das Schmelzen von Methanhydrat am Meeresboden. Auf ihre eigene Art sind sie alles weitere Kipppunkte, die sich anstoßen könnten und für verheerende Folgen sorgen. Wir sollten also handeln, bevor wir genau wissen, wann einer dieser Punkte kippt, denn Ereignisse dieser Größenordnung können wir dann nicht mehr stoppen. Es wäre also besser, nicht herauszufinden, wann wir zu viel in die Waagschale gelegt haben, denn:

Eine Welt, deren bewohnbarer Raum vom Meer und gleichzeitig vom Land aus knapper wird, die zeitgleich überflutet und nicht mehr genug Wasser zum Trinken bietet, eine Welt, die von bald 8 Milliarden Menschen bewohnt, aber Wälder, Tiere und Grünflächen verliert, ist das, was wir uns schaffen, wenn wir nicht bald handeln. Vor allem den jüngeren Generationen sind wir es schuldig, diesen Planeten so weiterzugeben, wie wir ihn an ihrer Stelle gerne bewohnen wollten.

Natürlich gibt es auch ohne den Klimawandel schon genug Ungerechtigkeit und Elend auf der Welt und das sollte sich dringend ändern, aber wenn wir unseren Lebensraum zerstören, werden auch die Ersten zu den Letzten auf dieser Erde gehören.

Nur der Wille fehlt

Ich will jedoch auf keinen Fall eine tiefe, traurige Leere bei dem Leser dieser Zeilen hinterlassen, denn das ist kontraproduktiv und unfair. Dazu gibt es auch überhaupt keinen Grund, denn wenn wir es schaffen wollen, die Kurve zu bekommen, dann ist das, was wir am meisten brauchen Hoffnung und Perspektive. Es braucht Stärke, Zuversicht und Tatendrang, um die Klimaerwärmung zu stoppen und deswegen möchte ich Ihnen mitgeben, warum zumindest ich so in die Zukunft schauen kann.

Unser CO2 Fußabdruck ist entscheidend.

Haben wir die nötige Technik? Ja. Haben wir das nötige Geld? Ja. Haben wir den Willen, das Nötige zu tun? Nein, leider aktuell noch nicht. Wir haben es geschafft ein Klimaabkommen zwischen 191 Staaten dieser Erde abzuschließen, indem wir uns auf ein globales Limit der Klimaerwärmung von 1,5° geeinigt haben. Man kann dieses Abkommen zwar in seiner bisherigen Wirksamkeit kritisieren, aber der Schritt ist auf jeden Fall der Richtige, er war bis jetzt nur noch nicht groß genug. Oder besser gesagt, klein genug, denn wir laufen aktuell auf eine Erwärmung von +2° bis +5° bis zum Ende des Jahrhunderts zu.

Ich möchte nicht behaupten, zu wissen, was alles getan werden muss, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen. Ich weiß jedoch, welches Lösungsmodell mich am meisten überzeugt. Nicht jeder muss wissen, wie genau alles rund um den Klimawandel funktioniert und was Richtig und was Falsch ist. Viele lassen sich genau von so einer Entweder-Oder-Einstellung blockieren. Denn wenn man von dem einen Freund gesagt bekommt, du darfst das nicht und der andere sagt, dass etwas ganz anderes total schlecht ist, dann fragt man sich vielleicht: Was darf ich denn jetzt überhaupt noch?

Ob man im Winter die Äpfel aus Neuseeland oder Brandenburg kauft, macht tatsächlich kaum einen Unterschied, weil die CO2Bilanz von aufwändig gelagerten Äpfeln den hergeflogenen sehr ähnelt. Aber gerade mit solchen Informationen schafft man das Entscheidende: Man erweitert seinen Blick auf die Dinge unseres Alltags.

CO2 ist unser größtes Problem und deswegen müssen wir dieses nervige und unsichtbare Molekül sichtbar machen! So wie wir die Zeit auf Uhren festhalten und Geld auf dem Konto muss vielleicht auch von Kind an ein Bewusstsein für Kohlenstoffdioxid entstehen. Wir müssen lernen, den Abdruck hinter unserem gelebten Alltag zu verstehen, um auf ihn reagieren zu können.

Kohlenstoffdioxidkulisse unseres Alltags

Wie man seine Zeit managed oder sein Geld ausgibt, kann einem kein Freund oder Bekannter sagen, aber man lernt von den Meinungen und Erfahrungen der Anderen und kann dann selbst entscheiden. So kann es auch mit unserem CO2 Fußabdruck funktionieren. Nur haben wir dafür nicht die Zeit von Kind an zu lernen, wie man am besten damit umgeht, denn der Umgang mit CO2 ist für alle Altersgruppen neu und jedem unterschiedlich bewusst. Deswegen braucht es noch dazu eben diesen Willen und Tatendrang, um sich selbst und auch die Freunde und Bekannte wachzurütteln und zum Blick hinter die Kohlenstoffdioxidkulisse unseres Alltags anzuregen.

Nur ist unsere Situation mittlerweile schon zu heikel, um nur auf das Handeln der Bevölkerung zu warten. Jeder einzelne kann und muss etwas verändern, aber um zusammen möglichst schnell und rechtzeitig etwas zu bewirken, braucht es die Politik.

Politik bezeichnet die Strukturen, Prozesse und Inhalte zur Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens durch verbindliche Entscheidungen.

Der Klimawandel ist vermutlich die größte und bedrohlichste Angelegenheit, die wir aktuell zu bewältigen haben und wir brauchen dringend Entscheidungen von oben, um sie wirksam anzugehen. In Zukunft sollte vielleicht etwas mehr auf Klimaexperten als auf Lobbyisten gehört werden, denn die Politik muss vorangehen und rechtzeitig für Regeln und Veränderungen sorgen, um nicht nur dem Klimaabkommen von Paris, sondern auch dem Fortbestand der Erde, so wie wir sie kennen, gerecht zu werden.

Verändern muss sich sowieso etwas

Der Mensch wird wohl kaum aussterben, denn dazu ist er viel zu anpassungsfähig, aber vergleichbar mit unserem jetzigen Leben oder dem Zustand der Erde, seid wir auf diesem schönen Planten aufgetaucht sind, wird die angesteuerte Zukunft auf keinen Fall sein.

Irgendwas wird sich also auf jeden Fall verändern, denn auch wenn wir die Kurve schaffen, müssen wir unser Leben deutlich umstellen. Zwei Wege zu einer klimaverträglichen Zukunft könnten einmal „Grünes Wachstum“ und „Wachstumskritik“ sein. Ersteres bezieht sich darauf, durch Innovationen und Technik unsere aktuellen CO2-Problemstellen zu verbessern, also zum Beispiel Kohlekraftwerke abzuschalten und Solarparks zu schaffen oder Verbrennungsmotoren zu ersetzen. Diese Grüne „Hightechzukunft“ haben wahrscheinlich viele vor Augen, wenn sie sich eine klimafreundliche Zukunft vorstellen, aber sie kann nicht die alleinige Lösung sein.

Der mögliche grüne Fortschritt wird sehr wahrscheinlich schlichtweg überschätzt, denn wir können nicht darauf warten, dass irgendwann die Fotosynthese technisch nachgebaut werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass auch klimafreundliche Technologien wie Elektroautos oder Solarpaneele einen gewissen CO2-Abdruck besitzen, weswegen ein schlichtes Ersetzen der beispielsweise aktuellen Stromversorgung durch grüne Energiequellen zwar den CO2-Haushalt senkt, aber das nicht ausreichend.

Noch dazu ist die menschliche Psyche ein Schwachpunkt, der beachtet werden muss, denn wir neigen dazu, uns durch vermeintlich nachhaltigere Entscheidungen auf einem immer noch unzureichenden Niveau auszuruhen. Zum Beispiel könnte man meinen, dass wenn man Mode aus nachhaltiger Baumwolle und in Europa produziert kauft, man weiter seinen geliebten Shoppingrausch ausleben kann, weil man so nachhaltiger als vorher lebt oder sich den Flug nach Mallorca leisten kann, weil man ja gerade das südliche Dach des Einfamilienhauses mit Solar bestückt hat. Wir befriedigen unser schon vorhandenes Umweltbewusstsein mit einfachen Lösungen, die es aber im Gesamten zu wenig bringen. Ein zweites Problem ist der sogn. Rebound-Effekt. Ein nachhaltigeres Produkt darf nicht dazu führen, dass man mit gutem Gewissen dann mehr konsumiert. Zum Beispiel hat der Kühlschrank jetzt zwar A+++, dann darf das Resultat nicht sein, dass man sich jetzt zwei in die Küche stellt, weil sie ja so viel umweltfreundlicher sind. Trotzdem ist es gut und wichtig, sich Gedanken zu machen und nachhaltiger zu leben, denn das ist der Anfang!

Der CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen Deutschen pro Jahr muss nämlich um den Faktor 12 verringert werden, deswegen müssen wir auch noch anderer Stelle angreifen. Der zweite Weg taucht genau an den Schwachpunkten des ersten auf, denn entscheidend ist die „Wachstumskritik“. Anstatt nur zu versuchen, den aktuellen Energiebedarf der Welt oder eines Landes mit nachhaltigeren Energiequellen zu decken, müssen wir den Bedarf im Ganzen senken. Wenn man jeden Morgen mit einem halbleeren Auto die 5 Minuten zur Arbeit fährt, beruhigt man vielleicht das eigene kleine Umweltgewissen mit dem Kauf eines Elektroautos, aber erst durch Fahrradfahren spart man entscheidend CO2 ein. Wir müssen also unsere Denkweise ändern und in Zusammenarbeit mit unseren grünen Technologien (dem ersten Weg) können wir dann in eine grüne Zukunft steuern.

Die Ökologie als Rahmen.

Das könnte zum Beispiel so aussehen: Der Einsatz von Robotern in der Autoindustrie hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass mehr Autos produziert werden konnten und der wirtschaftliche Gewinn bei gleichbleibendem oder sogar sinkendem Arbeitsaufwand gestiegen ist. In Zukunft könnten wir diese Innovation jedoch dazu nutzen, um, statt der Gewinnmaximierung, zum Beispiel weniger benötigte Arbeit für den gleichen Gewinn aufzuwenden und dadurch weniger zu arbeiten. Wenn die Arbeitsnachfrage sinkt, dann muss das keineswegs etwas Schlechtes sein, denn damit eröffnen sich ganz neue Beschäftigungsmodelle. Bei einer 20h-Woche könnte man in Zukunft zum Beispiel den eigenen Garten mit mehr Aufmerksamkeit bewirtschaften (Selbstversorgung), handwerkliche Fähigkeiten im Haushalt erlernen und in Zukunft Dinge selbst erledigen (z.B. reparieren, nähen, basteln) oder mehr Zeit für Hobbys und kulturellen Austausch aufwenden (psychische Zufriedenheit). Vielleicht entwickeln sich in Zukunft Selbstversorgergemeinschaften oder es kommt zu einer beliebten Nutzung von Reparaturcafes, wo man während einer Unterhaltung mit anderen, eigene Dinge wieder repariert oder sich zum Heimwerker entwickelt. Wir können Gebrauchsgegenstände teilen, zusammen nutzen oder gebraucht weitergeben, um sie effizienter zu verwenden (sharing).

Auch hier spielt die Psyche wieder eine entscheidende Rolle, denn dem einen macht die Arbeit im Garten zwar Spaß, aber der andere verspürt eher ein Glücksgefühl beim Kauf eines neuen Sportwagens oder den angesagtesten Klamotten anstatt getragener Secondhand-Kleidung. Jeder hat seine eigenen Vorlieben, Wünsche und Eigenschaften, aber um zusammen mit technischem Fortschritt den Klimawandel zu stoppen, müssen wir auch unseren Konsum und unsere Denkweise ändern. Ich möchte niemandem vorschreiben, was er zu tun hat, bei mir zum Beispiel ist es seit einem Jahr ganz plötzlich dazu gekommen, dass ich gerade in Klamottenläden nicht mehr mit gutem Gewissen einkaufen kann und ein angenehmes Gefühl verspüre, wenn ich mir schicke gebrauchte Kleidung hole. Die ökologische Kapazität unseres Planeten muss in Zukunft über allem stehen. Unser wirtschaftliches Streben und unsere sozialen Bedürfnisse müssen sich dem unterordnen, was unsere Erde nachhaltig an Rohstoffen zu Verfügung stellen kann. Das bedeutet aber keineswegs nur Einschränkung. Ganz im Gegenteil, denn wenn wir in Zukunft beispielsweise lernen, Spaß und Erholung in der eigenen kleinen Landwirtschaft hinterm Haus zu sehen oder merken, wie gut uns das morgendliche Fahren zur Arbeit mit Fahrrad oder E-Bike anstelle des Autos tut, weil wir uns bewegen, an der frischen Luft sind und einen Ausgleich zum stressigen Erfolgsdruck unserer Gesellschaft finden, dann kann auch eine Zukunft ohne Wachstum eine glückliche sein.

Ich bin fest überzeugt, dass immer mehr Menschen genau dieses Phänomen selbst bei sich beobachten können. Der Tiny-House Trend nimmt nicht umsonst immer mehr zu und auch der E-Bike Boom holt immer mehr Menschen an die frische Luft. Vielleicht muss die Menschheit mehr denn je über sich hinauswachsen und erkennen, dass ironischerweise genau unser aktuell vorherrschendes Wachstum nicht die Zukunft sein kann. Denn nicht nur unser Klima, auch die Wirtschaft kollabiert mit den nächsten paar Graden.

Weltweit gibt es einen Tipping Point, der zu unseren Gunsten kippen und endlich genug Menschen überzeugen könnte. Den Freitagsdemos ist es zu verdanken, dass erstmals wachsender Druck auf die Politik ausgeübt wird und der Klimawandel zunehmend in den Fokus gelangt. Wenn er steigt, und in Zukunft noch mehr Menschen protestieren, kann ein Stein ins Rollen gebracht werden, der genauso schwer aufzuhalten ist, wie es der Klimawandel gerade zu sein scheint. So erfinderisch wir auch sind, Innovation braucht Zeit und die läuft uns davon. Wenn wir uns jedoch welche verschaffen, indem wir jetzt anfangen, weniger CO2 auszustoßen, dann haben wir auch mehr Zeit, die Lösungen zu finden, die wir brauchen. Jedes eingesparte CO2-Molekül trägt etwas dazu bei! Wer sagt denn, dass wir nicht vielleicht doch irgendwann die künstliche Fotosynthese erfinden? Die Hoffnung aufzugeben, ist jedenfalls keine Option.

Leon Maut, 06.04.2021 und noch 6 Jahre, 8 Monate und 16 Tage bis zum Erreichen des 1.5° Ziels

Quellen

Quelle 1: Wallace-Wells, David. 2019. Die unbewohnbare Erde. Leben nach der Erderwärmung. Ludwig Verlag, München.

Quelle 2:  Statistik der Wirtschaftskammer Österreich zum Wirtschaftswachstum in der EU

Quelle 3:  Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Gesundheitssituation in Entwicklungsländern

Quelle 4: Weltbank Prognose: Wachstum des BIP nach Ländergruppen bis 2022

Quelle 5: United Nations Treaty Collection – Pariser Klimaabkommen

Quelle 6: Globalisierung, Digitalisierung und die Wachstumsfrage von Pr. Dr. Niko Paech

Quelle 7: Climate Tipping Points von Stefan Rahmstorf

Quelle 8: Nach der Coronakrise ist mitten in der Klimakrise von Volker Quaschning

Quelle 9: Klimaschutz für die Hosentasche?

Quelle 10: CO2-Uhr

Bilder: Pixabay

Grafik: selbst erstellt