Zeitvariable Stromtarife – Die Stromtarife der Zukunft?

Durch erneuerbare Energien sind die Stromnetze ganz neuen Anforderungen ausgesetzt. Wind- und Solarstrom ist wetterabhängig. Dabei sind die Speichermöglichkeiten nicht ausgereift. Das führt dazu, dass zu besonders sonnigen oder windigen Tageszeiten unverhältnismäßig viel Strom in die Netze eingespeist wird. Diese Schwankungen im Angebot werden nicht mit einer gleichen Nachfrage gekontert. Die Differenz zwischen niedrigstem Preis und höchsten Preis an der Strombörse wächst so immer weiter, was der hohen Nachfrage zu Peak-Zeiten geschuldet ist.

Bereits jetzt ist die Preisdifferenz bei 20€/MWh.

Dies entspricht einem Preisunterschied von Zeiten mit niedriger Nachfrage und solchen mit hoher Nachfrage von über 200%  (Stand 21.06.2017). Um diesen neuen Anforderungen an den Strommarkt gerecht zu werden, wurde am 30.10.2010 im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) festgelegt, dass Energieversorger ab nun Stromtarife, die „einen Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs“ setzen, anbieten müssen. Hierunter fallen „insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife“[1]

In diesem Artikel soll beleuchtet werden, wie die zeit- und lastvariablen Tarife funktionieren, inwiefern dieses Gesetz Fortschritt gebracht hat und was die tatsächlichen Vorteile von diesen neuen Tarifen sind.

Funktionsweise

Das Bundesministerium hat das erklärte Ziel, ein intelligentes Stromnetz – „Smart Grid“ – zu schaffen.[2] Eine Art des Lastmanagements, also des gezielten Steuerns des Stromverbrauchs ist dafür unverzichtbar. Bei zeitvariablen Tarifen wird auf den finanziellen Anreiz gesetzt, um die Last besser zu verteilen. Die Idee von zeitvariablen Stromtarifen ist nicht neu: Bereits in den 50er Jahren gab es in Deutschland Stromtarife mit zwei verschiedenen Tarifstufen, die Verbraucher dazu bringen sollten, einen Teil ihres Stromverbrauchs in die Nacht zu verlagern. Das Ziel hiervon war, den durch die Kraftwerke produzierten Strom besser zu nutzen und das kostspielige Herunterfahren des Kraftwerks zu vermeiden. Heutzutage sind die Anforderungen andere, ebenso die technischen Voraussetzungen: wurde damals noch mit zwei (Ferraris-)Zählern gearbeitet, so gibt es heute Smart Meter, die dies integriert machen können, und eine potentiell quasi unbegrenzte Anzahl von verschiedenen Tarifstufen zulassen (zur Zeit 96 verschiedene, die durch das viertelstündliche übermitteln der Daten an den Stromversorger entstehen).

Preismodelle

  • Time-Of-Use: Aufgrund von historischen Lastkurven wird ein Tarif für einige Monate im Voraus erstellt. Üblicherweise sind hier nur wenige verschiedene Preisstufen  eingebaut, die im Tages- oder Wochenverlauf wechseln.  Dies ist der üblichste privat erhältliche Tarif, da so der Verbraucher nicht das Risiko trägt. Außerdem ist die transparente Kommunikation der Preise kein Hindernis für den Stromversorger. Jedoch wird den Schwankungen an der Strombörse kaum Rechnung getragen.
  • Critical Peak Pricing: Ein anderes Modell besteht darin, nur gewisse, extrem hohe Preisstunden außerhalb des regulären Tarifs abzurechnen, dafür jedoch den Grundpreis des Tarifs zu vermindern. Diese Preisstunden müssen jedoch vorher angekündigt werden und dürfen nur einen geringen Anteil der Gesamtverbrauchszeit ausmachen. Ein Problem hierbei ist, dass der Kunde das volle Risiko mitträgt, aber nur begrenzt die Vorteile ausnutzen kann.
  • Real-Time-Pricing: Das flexibelste Modell ist die Neuberechnung der Preisstufen täglich oder in noch kürzeren Zeitabständen, abhängig von der aktuell vorhandener Last oder dem Strompreis. Hier ist es natürlich schwierig Preistransparenz zu garantieren. Außerdem erfordert es eine Beschäftigung mit dem Strompreis, die sich für Privatverbraucher und sogar kleinere Unternehmen zeitlich und finanziell kaum lohnen wird. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problem wäre es, stromfressende Prozesse vollständig zu automatisieren und an den Preis zu koppeln.

Zeitvariable Stromtarife für Privatpersonen?

Tarifmodell

Typisches Drei-Stufen Modell mit Wochenendtarif

Wenn man als Privatperson einen zeitvariablen Tarif nutzen will, so ist die erste Schwierigkeit bereits, einen passenden Tarif zu finden. Laut Stiftung Warentest und der Verbraucherzentrale Nordrhein Westfalen ist die Umsetzung all dieser Möglichkeiten durch die Stromversorger bisher sehr spärlich.[3] Die meisten Stromversorger beschränken sich darauf, einen typischen Nachtstrom Tarif mit zwei bis drei Tarifstufen anzubieten (bisweilen bildet das Wochenende eine gesonderte Tarifstufe). Hierdurch werden die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt. Jedoch bieten sich für einen privaten Haushalt wenig Möglichkeiten, Geld zu sparen. Der Verbrauch von vielen der größten Stromfresser, wie etwa Herd und Kühlschrank, lässt sich nur schwerlich in die Nacht verlagern. Wenn man hingegen Waschmaschine, Wäschetrockner und Geschirrspüler nur noch nachts laufen lässt, so lassen sich in einem durchschnittlichen Haushalt etwa 1000kWh/Jahr einsparen, bei geringeren Stromkosten von etwa 4 Cent/kWh ist das häufig ist nicht genug, um die höhere monatliche Grundgebühr oder  die Kosten für den Einbau eines Smart Meters zu decken. Was das Lastmanagement angeht, bieten diese Tarife einen Anreiz zur Entlastung des Stromnetzes, was den in der Nacht produzierten Strom angeht. Nicht berücksichtigt werden können hierdurch jedoch die starken Peaks zur Mittagszeit oder an windigen Tagen, die Solar- und Windstrom begünstigen.

Insgesamt lohnt es sich mit einem durchschnittlichem Stromverbrauch als Privatverbraucher derzeit kaum, auf einen zeitvariablen Stromtarif umzusteigen. Anders sieht es schon aus, wenn man Besitzer eines Elektroautos ist und dieses über Nacht regelmäßig auflädt. Bei einem durchschnittlichen 22kWh-Akku lassen sich mit einer Differenz von 4 Cent zwischen Hochstrom und Niedrigstromtarif pro Aufladung 0,88€ sparen. Wenn man mehrmals pro Woche auflädt, amortisiert sich so auch der Einbau eines Smart Meters und der höhere monatliche Grundpreis.

Zeitvariable Stromtarife für Unternehmen

Für Unternehmen bieten zeitvariable Tarife wohl bessere Anreize als für Privatpersonen. Einige Voraussetzungen müssen natürlich gegeben sein, um von so einem Stromtarif profitieren zu können:

  • Es müssen flexible Prozesse sein, deren Ablaufen auch um eine viertel oder halbe Stunde verzögert werden kann, je nach Marktlage.
  • Es sollten automatisierte Prozesse sein v. A. was Nachtstrom betrifft, denn der höhere Stundenlohn für Mitarbeiter würde sonst wohl andere finanzielle Vorteile zunichte machen.
  • Es sollten fernsteuerbare Prozesse sein.

Ein Beispiel für ein nicht-privates Projekt, das einen zeitvariablen Stromtarif erfolgreich nutzt, ist das Schöpfwerk in Dithmarschen, welches das Hinterland der Deiche nach starkem Regen oder Fluten trockenlegt. Es bezieht seinen Strom von dem Zusammenschluss kleinerer Erzeuger „Next Kraftwerk“ zu einem Tarif, der viertelstündlich an den herrschenden Strompreis angepasst wird. Dieses Schöpfwerk eignet sich deshalb auch so gut, weil die Prozesse vollständig automatisiert und flexibel sind. Auch ein nur zur Hälfte gefülltes Förderbecken kann bei entsprechendem Strompreis bereits abgepumpt werden.

Weiterführende Links und Quellen

[1]  Energiewirtschaftsgesetz §40, Abs,5: http://www.gesetze-im-internet.de/enwg_2005/__40.html
[2] BMWi – Die Digitalisierung der Energiewende: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/digitalisierung-der-energiewende.html 
[3]   Ergebnisse einer Umfrage zur Einführung Variabler Stromtarife (Im Auftrag der Verbraucherzentrale NRW): https://www.verbraucherzentrale-bremen.de/media219436A.pdf  sowie Stiftung Warentest,02.03.2011: https://www.test.de/Zeitvariable-Stromtarife-Angebote-ueberzeugen-noch-nicht-4207890-0/

Schöpfwerk Dithmarschen: https://www.next-kraftwerke.de/neues/next-kraftwerke-macht-deiche-smart

Fuktionsweise und Potential Zeitvariabler Tarife (Verbraucherzentrale NRW): https://www.verbraucherzentrale.nrw/media227377A.pdf

Untersuchung des Fraunhofer Instituts zur Akzeptant von Variablen Tarifen: http://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01fb12/721273068.pdf

Information zur Kosteneinsparung mit Zeitvariablen Tarifen: http://www.it-production.com/allgemein/stromtarifeenergiekosten-sparen-mit-zeitvariablen-tarifen/

10.07.17 / Ein Artikel von Klara Wesselkamp